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Viele, viele bunte Yes Men: wie sich Aktivismus durch Social Media verändert

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Da saß er nun vor einer Schüssel dampfendem Chili und konnte die wichtigste Frage in seinem Leben selbst nicht beantworten: „Warum sitzen Sie nicht im Gefängnis?“

„Ich weiß es nicht“, sagte der Mann, der sich Andy Bichlbaum nennt, grinsend.

Das war im Jahr 2007 in New York. Damals traf ich Bichlbaum, einer der Köpfe der Yes Men, für eine Geschichte über Anti-Globalisierungs- und Anti-Kapitalismus-Aktivististen, die in „Agenda“ erschien, jenem Magazin des „Handelsblatts“, das leider einmalig blieb.

Die Yes Men waren damals schon etwas besonderes: Eine kleine Truppe Kreativer, die sich Web-Adressen sichern, die fast so klingen wie jene von Unternehmen oder Institutionen. Dort errichten sie Homepages, die so aussehen wie die Seiten von Dow Chemical oder der WTO. Nur wer hinliest entdeckt die bösen Unterschiede. Dann warten die Yes Men ab – und fast immer gibt es irgendwann Medienanfragen und Einladungen als Redner auf Podien. Dann reist Andy Bichlbaum an und hält einen ernsthaft vorgetragenen, inhaltlich aber absurden Vortrag. Als angeblicher WTO-Vertreter hat er auch schon mal die Wiedereinführung der Sklaverei befürwortet – Protest gab es wenig.

yes men kanada(Foto: Yes Men)

All das halten die Yes Men auf Video fest. Zum einen, um die Bilder im Web zu verbreiten. Zm anderen entstanden bereits zwei Kinofilme und ein Buch daraus – alle seien herzlich empfohlen.

Das ist Kapitalismuskritik, wie sie bis vor rund drei Jahren möglich war. Sie gehorchte Mediengesetzen, die über Jahrzehnte entstanden sind. Aktivisten, die ihr Anliegen verbreiten wollten, mussten in die Medien – egal ob auf lokaler und globaler Ebene. Die Medien brauchen neben dem Geschichte des Anliegens vor allem Bilder. Also musste das Auftreten jener Aktivisten sich von alltäglichen Bildern unterscheiden. Eine Demonstration ist nur dann interessant, wenn sie verglichen mit dem Berichterstattungsareal des Mediums groß ist. Für eine Lokalzeitung reichen vielleicht schon 50 Leute auf der Straße, für die Tagesschau mussten es einst Ostermärsche mit Tausenden von Teilnehmern sein.

Das zu organisieren ist schwer. Deshalb entstand irgendwann die Idee, sich spektakulär aufzuführen. Erste Variante: spektakulär gefährlich – die Greenpeace-Stuntshow begann. Doch der Medienkonsument stumpft schnell ab. So kam das spektakulär lustige ins Spiel. Die Yes Men und Michael Moore waren die ersten, dann kam Sasha Baron Cohen.

Für die Angegriffenen war all das nicht schön – aber aushaltbar. Denn sie wussten: Nach ein paar Tagen waren die Bilder nicht mehr attraktiv, die Krisenlage ließ sich aussitzen.

Nun aber ist Social Media da. Und nicht nur der Fall Greenpeace vs. Nestlé Kitkat demonstriert: Unternehmen und Institutionen müssen umdenken – denn ihr Spielraum schrumpft erheblich zusammen.

Für alle jene, die für ein paar Monate in einer wlanfreien Tropfsteinhöhle verbracht haben, noch einmal jene Verwirbelungen rund um den Lebensmittelkonzern Nestlé in Kurzform:

– Nestlé verwendet Palmöl, indonesische Palmölhersteller zerstören den Urwald, in dem leben Orang-Utans.
– Greenpeace spricht mit Nestlé, der Konzern will nicht von der Palmöl-Verwendung absehen (was andere getan haben).
– Greenpeace produziert Schock-Videos und Kampagnenmotive und stellt diese zur Verwendung für jedermann bereit.
– Nestlé geht gegen eines der Videos auf Youtube juristisch vor – und macht die Geschichte richtig publik.
– Die zuvor homöopathisch betriebenen Facebook-Seiten für Kitkat und Nestlé laufen über mit Kritik und Links.
– Nestlé nimmt in hölzernem Pressemitteilungston Stellung.
– Ein Nestlé-Kommunikator verliert die Nerven und giftet gegen Kritiker. Ergebnis: noch mehr digitale Aufmerksamkeit.
– Greenpeace errichten Twitter-Walls vor der Deutschland- und der Hauptzentrale von Nestlé – sie laufen heiß.
Nestlé knickt ein.

greenpeace kitkat nestle affenkostüm(Foto: Greenpeace)

Was sich verändert hat, ist die Leichtigkeit, mit der sich Menschen mobilisieren lassen. Früher hätte Greenpeace ein paar Mitglieder in Affenkostümen vor Nestlé-Tore gestellte. Nestlé hätte abwarten können – irgendwann hätten die Kostümträger etwas Besseres zu tun gehabt. Heute gibt es die Affen noch immer – wir befinden uns in einer Umbruchphase. Doch kann eben jeder, der die Sache gut findet mit einem winzigen Zeitaufwand das Projekt unterstützen. Eine Nachricht auf einer Facebook-Seite, ein Tweet, das Integrieren eines Videos auf der eigenen Homepage – das dauert Sekunden, nicht Minuten. Vor allem aber: Es bleibt dauerhaft erhalten.

Nun hat sich Nestlé exorbitant scheuklappig verhalten und vieles noch schlimmer gemacht. Angefangen von der vorgetäuschten Kommunikation mit dem Kunden durch inaktive Facebook-Seiten über das depperte Verhalten der Juristen bis hin zum Versuch, die Diskussion zu verstecken, in dem das entsprechende Thema in die wenig genutzte Foren-Funktion bei Facebook gesteckt wurde.

Das hatte nicht nur Folgen für die Außendarstellung. Wer in den vergangenen Wochen Nestlé-Mitarbeitern begegnete, traf auf Frustration. Viele von ihnen waren nicht einverstanden mit dem Verhalten ihres Arbeitgebers. „They’re screwing it up“, sagte einer jener Mitarbeiter auf der Marketing2Confernce – so viel Mut, in der Öffentlichkeit über den eigenen Arbeitgeber zu sprechen, muss man erstmal haben. Aus den Stimmen ergibt sich ein Bild: Da ist etwas kaputt gegangen. Die Attraktivität des Arbeitgebers Nestlé hat erheblich gelitten.

Die Realität, mit der sich Unternehmen anfreunden müssen ist: Aktivisten haben heute so viel Macht wie nie zuvor. Es reicht eine gute Idee und Durchhaltevermögen, um dem Image einer Marke zu schaden. Jüngstes Beispiel: BP und Twitter.

Seit dem 19. Mail liefert ein Twitter-Account den bösen Humor zur Öl-Katastrophe: @BPGlobalPR. Einige Zitate:

„Can we just start calling it the oilcean and move on please?#bpcares“

„We’ve created something that will affect your children’s children. Can YOU say the same about YOUR life? #nailedit#bpcares“

„Of course, bp cares about the fishing industry as well. Now, all tuna from the gulf coast comes pre-packaged in oil.#you’rewelcome #yum“

(Eine Best-of-Auswahl auch bei der Huffington Post.)

Glaubt jemand ernsthaft, so würde sich die PR-Abteilung von BP äußern`?

Nun ja… ähm… Ja.

Wer auf Twitter nach @BPGlobalPR sucht, liest erstaunliches: Die weitaus meisten begreifen, dass es sich um Satire handelt. Einige aber auch nicht:

„Das Account @BPGlobalPR ist die größte Unverschämtheit unter der Sonne nicht nur des mexikanischen Golfs.“

(Und schon gibt’s den ersten Nachahmer: @FacebookPR)

Noch macht BP mittelmäßig gute Miene zum bitterbösen Spiel: „People are frustrated at what’s happening, as are we, and that’s just their way of expressing it.“ Und möglicherweise haben sie auch aus dem Fall Kitkat gelernt: Wer Gegner mit juristischen Mitteln bekämpft, lenkt die Aufmerksamkeit nur weiter auf sich.

Nun befindet sich BP auch in einer Situation, die eine absolute Ausnahme sein dürfte. Denn außerhalb der Ölindustrie jemand zu finden, der Mitleid oder Verständnis aufbringt, dürfte praktisch unmöglich sein. So kämpft die BP-Kommunikation, die eigentlich vieles richtig macht wie der PR-Blogger schreibt, auf verlorenem Posten. Sie kann nicht gewinnen, wenn es das Unternehmen gerade zerreißt.

greenpeace kitkat nestle erfolg

Doch dies ist ja nicht der Normalfall. Gemeinhin reden wir bei Attacken von Aktivisten über Situationen, in denen eine Handlungsänderung erzwungen werden soll. Und von solchen Ansinnen wird es künftig noch viele mehr geben. Auch die Yes Men haben erkannt, wie sich die Welt verändert. Sie sammeln gerade 50.000 Dollar um ein Yes Lab zu gründen, in dem kollaborativ an neuen Ideen gearbeitet werden soll. Gleichzeitig berichten sie auf ihrer eigenen Homepage über Projekte anderer Aktivisten und verschaffen ihnen so zusätzliche Öffentlichkeit.

Alle Arten von Unternehmen und Institutionen müssen sich damit abfinden: Aktivisten werden sie mehr bedrängen als je zuvor. Denn jeder Kunde kann ein Aktivist werden, jeder Bürger. Und er ode sie werden bessere Chancen haben, ihr Anliegen auch durchzudrücken – weil ein Beharren Unternehmen dauerhafte Image-Schäden bereiten wird.

Sind die Angegriffenen also machtlos?

Nein.

Sie müssen lernen, mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren. Man darf sich dem Bereich Social Media gern verweigern. Bricht aber eine Krise los, dann ist eine gewisse Kompetenz in diesem Bereich unbedingt nötig. Und dabei geht es eben nicht nur um die Anwendung von Web-Technik –  Social Media ist eben auch eine Einstellung. Außerdem: Wer zuvor die Kommunikation aufgenommen hat, für den sind Fürsprecher ein Schutzschild. Keines, das alles abhält, aber doch die Wirkung eines Angriffs abdämpft.

Nehmen wir Nestlé: Auch Kitkat hat schließlich Fans. Sie hätten die Greenpeace-Argumentation nicht völlig entkräften können – aber sie hätten die Kommunikation der Gegner zumindest verwässert. Das hat eine psychologische Wirkung. Es kam auch zu einer Flut von Social-Media-Erwähnungen, weil niemand das Gefühl hatte, jemand zu verletzen. Das Unternehmen regte sich nicht, Kitkat-Freunde ebenfalls nicht. Je stärker eine Gegenkommunikation auftritt, desto unsicherer wird der Angreifer. Denn es verleiht ein kokaineskes Gefühl der Stärke, wenn es gelingt, die Präsenz des Gegner mit der eigenen Meinung zu fluten.

Puh, das klingt jetzt leider alles ziemlich kriegerisch. Aber so ist das eben: Es geht hier um ein Ringen, um einen Kampf umd eine Schlacht. Und auch Greenpeace wird das nicht anders sehen, vielleicht nur ein wenig anders ausdrücken.

Doch diese einzelnen Scharmützel sind nur Teil eines Größeren. Was heute beginnt, ist ein langer Prozess der Veränderung. Unternehmen und Institutionen werden sich der Kommunikation mit Anspruchsgruppe tatsächlich stellen müssen. Wer das nicht tut, muss eine erheblich bessere Produktleistung erbringen, als andere – dann ist sein Vorsprung vielleicht so groß, dass alles andere ohnehin egal ist. Viele wird es aber nicht geben, die in ihrem Feld so weit enteilt sind.

Der Beitrag Viele, viele bunte Yes Men: wie sich Aktivismus durch Social Media verändert erschien zuerst auf Indiskretion Ehrensache.


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